Eine lächelnde weiße Frau mit kinnlangem braunen Haar trägt einen Blaumann und sitzt an einer Werkbank. Sie schraubt an einem kleinen gelben Gerät. Im Hintergrund sind regal mit Werkzeugen und Kisten.
© Lena Maria Loose
Eine lächelnde weiße Frau mit kinnlangem braunen Haar trägt einen Blaumann und sitzt an einer Werkbank. Sie schraubt an einem kleinen gelben Gerät. Im Hintergrund sind regal mit Werkzeugen und Kisten.
Dialog

[K]onversations mit Darsha Hewitt

Die kanadische Medien- und Sound-Künstlerin Darsha Hewitt leitet ab dem 15. März die erste Ausgabe des neuen Residenz-Programms für Kunst und Digitalität THEHOST.IS, das Kampnagel gemeinsam mit den Deichtorhallen gestartet hat. Kampnagel-Dramaturgin Anna Teuwen hat mit ihr über ihre Arbeit und Visionen gesprochen, über hybride Zeiten, über das Potenzial alter Technologien und darüber, dass niemand Angst haben sollte, etwas kaputt zu machen.

Darsha, du bist »Medien-Archäologin«, kannst du etwas über deine künstlerische Praxis erzählen? Womit beschäftigst du dich gerade?

In letzter Zeit interessiere ich mich für den materiellen Aspekt von Musik und Klangtechnologie und deren Auswirkungen auf die Ökologie. Derzeit arbeite ich an »High Fidelity Wasteland«, einer Trilogie von Klanginstallationen, die auf praktischen Studioexperimenten mit der Zersetzung von Materialabfällen aus der globalen Musikindustrie basieren. Das bedeutet, dass ich Dinge tue wie z.B. die Verstärkung eines Quecksilberpools, der in einer 100 Jahre alten Vakuumröhre verdampft, oder die Restaurierung von Plattenspielern aus den 1950er Jahren, die Schallplatten sehr, sehr langsam abspielen.

Was genau ist eigentlich »Medienarchäologie«?

Medienarchäologie ist ein Weg, die vorherrschenden Narrative rund um Technologie und populäre Medien zu verstehen und kritisch zu hinterfragen. Dazu gehört oft die Dekonstruktion veralteter Technologien und das Hacken komplexer technologischer Systeme, um zu verstehen, wie sie funktionieren, und um die problematischen Auswirkungen allgegenwärtiger Technologien wie KI und Algorithmen, denen wir täglich begegnen, zu entmystifizieren.

Das heißt, du verfolgst mit deiner Kunst durchaus einen kritischen Ansatz, der in deiner Biografie mitunter auch als »critical hacking« beschrieben wird. Was sind denn die größten Probleme, die du in Bezug auf die allgegenwärtigen Technologien siehst?

Im Bereich der Medien bzw. Digitalen Kunst verwenden wir den Begriff »kritisch«, um zu unterstreichen, dass die technischen Werkzeuge, mit denen wir arbeiten, nicht nur Mittel zum Zweck sind, sondern dass unser künstlerisches Interesse darin besteht, eine kritische Haltung gegenüber der jeweiligen Technologie einzunehmen. Die größte Herausforderung besteht darin, dass allgegenwärtige Technologien verschlossene Black Boxes sind, die wir nicht ohne weiteres öffnen können, um zu verstehen, wie sie funktionieren. Die künstlerische Arbeit in der Kategorie »Critical Hacking« besteht darin, technische Systeme zu dekonstruieren, sowohl als Quelle für das Rohmaterial für künstlerisches Schaffen, als auch als Weg zum Verständnis ihrer ethischen Implikationen. Man kann viel lernen, wenn man die Materialität und Infrastruktur der Maschinen, Prozesse und Praktiken der allgegenwärtigen Technologie untersucht. In ihrer dekonstruierten Form legt sie die verwirrende Art und Weise offen, wie Menschen miteinander, und wie wir mit unserer gebauten und natürlichen Umwelt umgehen.

Du arbeitest viel mit DIY-Elektronik. Was war das verrückteste Projekt, das du je gemacht hast?

»20 Oszillatoren in 20 Minuten« ist wahrscheinlich die schlimmste Idee, die ich je hatte. Es handelt sich um eine Live-Sound-Performance, bei der ich mit einem Haufen elektronischer Bauteile wie Widerständen und Kondensatoren auf die Bühne gehe und versuche, 20 klangerzeugende Schaltkreise zu bauen, wobei eine Live-Projektion meiner Hände zu sehen ist, die zittern, während ich versuche, alle Drähte anzuschließen – unter Zeitdruck und dem Druck der Erwartungshaltung. Wenn es gut läuft, hört es sich verrückt an – wie eine Million Metronome, die in verschiedenen Geschwindigkeiten laufen. Aber bis es klappt, ist es spannend, ich werde richtig nervös und erzähle dumme Witze, weil ich Angst habe, es zu vermasseln, und dann gerät es außer Kontrolle; das Publikum feuert mich an, und es wird zu einer Art intensivem Sportereignis und Stand-Up-Comedy-Show zugleich. Es ist nur einmal passiert, dass ich komplett versagt habe und keinen Ton herausbrachte... das einzig Gute daran war, dass eine Drag Queen im Publikum saß und mich danach umarmte. Es ist eine meiner beliebtesten und meist nachgefragten Arbeiten, aber ich traue mich einfach nicht mehr, sie zu machen.

Was sind die größten Hürden, mit denen du dich bei deiner Arbeit auseinandersetzen musst?

Da ich mit sehr alten Technologien arbeite, muss ich mir viele Fähigkeiten und Techniken aneignen, die im Aussterben begriffen sind. Was mich nachts wach hält, ist die Zusammenarbeit mit pensionierten Elektrotechnikern. In der Regel geben sie gern ihr Wissen weiter, was ich sehr schätze und was für mich sehr wertvoll ist – leider sind aber auch diese Leute alt und sterben langsam aus. Die Corona-Zeit war eine Tragödie, weil ich einen meiner engen Mitarbeiter, einen pensionierten TV-Reparateur in Weimar, nicht besuchen konnte. Er ist jetzt sehr krank und wir können nicht mehr kommunizieren. Wir waren noch nicht fertig mit dem Austausch über unsere Leidenschaft für die DDR-Technik
und das ist wirklich traurig.

Du kuratierst das erste Residenzprogramm von THEHOST.IS, springst quasi ins kalte Wasser. Was waren deine ersten Gedanken dazu, nachdem wir dich gefragt haben?

Der »Experiment«-Aspekt dieses Projekts hat mich auf jeden Fall interessiert! Ich bin immer neugierig, kreative Projekte auszuprobieren, die mich aus meiner Komfortzone holen. Ich dachte mir also, vielleicht kann ich mir etwas Lustiges einfallen lassen, das meiner geheimen Lebensaufgabe entspricht, Menschen zusammenzubringen, um verrückte und empowernde Kunstexperimente mit Technologie zu machen.

Was bedeutet für dich in diesem Zusammenhang »empowernd«? Begreifst du deine Arbeit auch als feministisch?

Es wird allgemein angenommen, dass der technologische Kontext Menschen mit einem angeborenen Ingenieurs-Talent vorbehalten ist oder dass es sich (noch) um eine Männer-Domäne handelt und dass technologische Lösungen allen anderen Lösungen überlegen sind. Das ist völlig langweilig und stimmt auch einfach nicht. Empowerment entsteht, wenn man diese überholten Vorstellungen hinter sich lässt und mit Technologie auf eine Weise spielt, die für einen selbst Sinn macht. Durch die Verwendung von bestimmtem Vokabular, Analogien, Werkzeugen und Techniken, die die dogmatische Tech-Kultur umgehen, können diejenigen von uns, die sonst außen vor bleiben, die Technologie auf ihre eigene Weise entmystifizieren und auf abenteuerliche Weise mit ihr arbeiten.

Titel Deines Residenzprogramms ist »HOW TO BEAM – Teleportation for hybrid times«. Kannst du kurz einen Einblick geben, was das thematische Konzept ist, und was du konkret planst?

Wir werden uns damit befassen, wie sich das Konzept der »Präsenz« in der Zeit der digitalen Medien gewandelt hat. Die Künstler*innen, Workshops und Vorträge werden auf die eine oder andere Weise einen praktischen Ansatz verfolgen, um das Konzept der Teleportation als einen Weg zur Rückgewinnung und Neuerfindung von Individualität, Autonomie und menschlichen Verbindungen in unserer sich rasch hybridisierenden Welt zu erforschen.

Während der Pandemie haben wir alle in besonderem Maße »Hybrid Times« erlebt – inwieweit hat die Pandemie dein Konzept beeinflusst?

Ich finde es verrückt, dass die meisten Menschen so plötzlich akzeptiert haben, dass körperlose digitale Versionen von ihnen eine völlig legitime Art sind, sich in der Gesellschaft zu präsentieren. Anstatt mit dem ganzen Körper an einem Ort zu sein, können wir jetzt als seltsamer Avatar, als schwebender Kopf, als Emoji oder als stummgeschaltetes schwarzes Rechteck in einem Raster zu einem Arzttermin oder zur Schule gehen. In gewisser Weise ist das wunderschön, aber wenn wir bedenken, dass Aktivist*innen für Barrierefreiheit schon seit langem versucht haben, die Welt zu überzeugen, dass der Zugang zu Kultur und bürgerlichem Leben auch aus der Ferne möglich ist, dann ist es auch ein Armutszeugnis, dass es eine globale Pandemie brauchte, um diesen Schritt hin zu einer inklusiveren Gesellschaft wirklich zu machen.

Abgesehen von diesem »Zugang aus der Ferne« – wie stehen für dich Zugänglichkeit und Inklusion mit Technologie in Verbindung?

Es gibt viele Möglichkeiten, dieses Thema zu betrachten. Erstens glaube ich, dass ein wichtiger Schritt um Technologie zugänglicher und inklusiver zu machen, darin besteht, sie zu zerlegen – um zu verstehen, wie sie funktioniert und wie ihre materielle Zusammensetzung uns mit Menschen, Politik und physischen Infrastrukturen auf dem ganzen Planeten verbindet. Viele der alltäglichen Technologien, die die Kommunikation unterstützen, haben ihre Wurzeln im inklusiven Design, wie z. B. die Untertitelung von Videos, die für gehörlose und schwerhörige Menschen entwickelt wurde. Um sicherzustellen, dass Menschen, die nicht persönlich anwesend sein können, weiterhin aus der Ferne an den alltäglichen Aktivitäten teilnehmen können, ist es wichtig, dass diese Zugänge zur Gesellschaft auch nach der Pandemie nicht nur bestehen bleiben, sondern besser integriert werden.

Apropos Zugänglichkeit: Welche Möglichkeiten gibt es denn für unser Publikum, an den Formaten und Prozessen des Residenzprogramms teilzuhaben?

Ich bin besonders gespannt auf den HOW TO BEAM-Workshop »Virtual Visitor«; ein fünftägiges intensives Networking- und Kollaborations-Event, das sich an aufstrebende Künstler*innen, Designer*innen und Technolog*innen aus verschiedenen Disziplinen richtet. Das Konzept des Workshops ist es, mit Zugang zur Kultur aus der Ferne zu experimentieren. Immer mehr Kulturzentren bieten der Öffentlichkeit virtuelle Besuche an, so dass ihr Programm auch z.B. von zuhause aus zugänglich ist. Es gibt viele Möglichkeiten, das auszuweiten und mit den Methoden und physischen Schnittstellen zu experimentieren, die wir nutzen, um mit dem Publikum aus der Ferne in Kontakt zu treten. Niemand muss Expert*in sein, um teilzunehmen! Der Workshop richtet sich an kreative Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, die gemeinsam digitale Kunst machen und ihre Fähigkeiten und kreativen Positionen teilen wollen.

Bitte erzähl uns etwas über die drei Resident*innen, und warum du sie für das Programm ausgewählt hast.

Die Residenzkünstler*innen von HOW TO BEAM kombinieren auf die eine oder andere Weise neue Technologien und Low-Tech-Strategien und beziehen oft Workshops als wichtigen Teil ihrer Arbeit mit ein. Dasha Illina zum Beispiel ist die »Geschäftsführerin« des Center for Technological Pain, wo sie Videos dreht, in denen sie zeigt, wie man mit Pappe, Schere und Klebstoff tragbare Geräte baut, die gegen die körperlichen Schmerzen bei der Benutzung von Laptop oder Telefon helfen. Olsen Wolf hat kürzlich die größte digitale Kuckucksuhr der Welt gebaut und Nadja Buttendorf ist bekannt für kybernetische Nagelkunst und ASMR-Videos mit dem Robotron-Kleincomputer.

Hast du eine Vision davon, was während der drei Residenz-Monate passieren soll? Was wünschst du dir von dem Programm?

Ich möchte, dass sich die Menschen bei den von uns angebotenen DIY-Projekten wirklich willkommen fühlen. Im technischen Bereich schrecken die Leute oft davor zurück, sich zu engagieren, auch wenn sie eigentlich neugierig und interessiert sind, weil es die Vorstellung gibt, dass man dafür ein technisch versierter Mensch sein muss, oder weil es immer die Befürchtung gibt, etwas kaputt zu machen. In Wirklichkeit geht sowieso alles kaputt – ich mache meine technischen Projekte ständig kaputt, aber ich lerne dabei immer mehr, wenn ich sie repariere. Es ist ermutigend zu lernen, wie man Dinge repariert. Abgesehen davon bin ich sehr neugierig darauf, was sich die Künstler*innen einfallen lassen!

Was würdest du einer Person raten, die bisher eher einen Bogen um Technik und Digitalität gemacht hat?Und was einer Person, die eher einen Bogen um Kunst macht?

Ich weiß nicht, ob ich die beste Person bin, um diese Frage zu beantworten, also werde ich stattdessen mein Lieblingszitat von Nam June Paik teilen: »I use technology in order to hate it more properly. (Ich benutze Technologie, um diese besser hassen zu können.)«