Ein älteres Paar steht nebeneinander vor einer blauen Wand und hält sich an den Händen. Die Frau trägt ein elegantes, lockeres Kleid mit detailliertem Muster, der Mann trägt eine schwarze Jacke und Hose, sowie einen Hut. Sie lächeln freundlich und stolz.
© Peter Hönnemann
Ein älteres Paar steht nebeneinander vor einer blauen Wand und hält sich an den Händen. Die Frau trägt ein elegantes, lockeres Kleid mit detailliertem Muster, der Mann trägt eine schwarze Jacke und Hose, sowie einen Hut. Sie lächeln freundlich und stolz.
Dialog

[K]onversations mit Döne & Oruc Yagbasan

Döne und Oruc Yagbasan, geboren 1948 und 1946 in Pazarcik, Davutlarköyü / Türkei geboren und Eltern der Betreiber*innen des PEACETANBUL auf Kampnagel, waren Anfang der 70er Jahre in der Widerstandsbewegung in der Türkei aktiv involviert. 1980 wurde in der Türkei von der faschistischen Militär-Junta gegen jegliche zivile Organisationen und Gewerkschaften vorgegangen. Nachdem Orucs älterer Bruder 1971 festgenommen wurde, weil er die Studentenbewegung unterstützte, und auch seine Mutter inhaftiert wurde, verließen Döne und Oruc schließlich das Land. Im Hamburg gründeten Döne und Oruc mit anderen Freund*innen und Weggefährt*innen eine Alevitische Gemeinde – die erste in Deutschland. Für unser Cover-Interview hat ihr Freund Cengiz Orhan ihnen Fragen gestellt.

Warum seid ihr nach Deutschland gekommen?

Döne Die 68er Bewegung entwickelte sich auch in der Türkei, in der Zeit arbeitete ich als Schneiderin. Ich habe einen Teil meiner Einnahmen an die linke Bewegung gespendet, das war direkt nach dem Militärputsch 1971. Wir waren für das Militär ein Dorn im Auge, weil in der Türkei drei »K« für eine Festnahme reichten. Die drei »K« bedeuteten: »Kizil Bas« – Rotkopf, so werden die Aleviten genannt und als Ketzer bezeichnet–, »Kurde« und »Kommunist«. Diese drei »K« hatten wir als Familie, aus diesem Grund wurde es für uns in der Türkei immer gefährlicher.

Oruc Die Student*innen bauten Brücken, versuchten die Infrastruktur für die Landbevölkerung zu verbessern und arbeiteten gemeinsam auf den Feldern. In den Städten versuchten sie auch die Bevölkerung für die linke Bewegung zu organisieren. Die Junta verfolgte die aktiven Studentenführer*innen, in unserer Gegend gab es auch verfolgte Student*innen mit denen mein älterer Bruder Kontakt hatte und die er auf den Bergen verpflegte. Dabei wurde er festgenommen und vier dieser Student*innen wurden durch das Militär ermordet. Mein Bruder wurde inhaftiert und verurteilt. Das war einer der entscheidenden Gründe, warum wir die Türkei verlassen haben und 1973 unsere Reise in Hamburg endete.

Wie ging es in Hamburg für Euch weiter?

Döne Wir waren zwar mit unseren Beinen in Hamburg, aber mit unseren Köpfen waren wir weiterhin in der Türkei. Unsere Wohnung wurde zum Versammlungsort für unsere linksdenkenden Mitbürger*innen aus der Türkei. Gleichzeitig war ich mit folgender Tatsache konfrontiert: Meine Kinder gingen zur Schule, und obwohl ich nicht Deutsch sprechen konnte, bekam ich mit, dass die konservativen Familien ihre Kinder weder zum Schwimmunterricht noch zu Klassenreisen schickten. Deshalb musste ich bei den Familien »pädagogische Arbeit« leisten. Ich bin sogar auf Klassenfahrten mitgefahren, damit die Mädchen aus den Familien doch mitreisen durften.

Oruc Ich habe mich als Aluminiumwerkmitarbeiter schon bald mit der Gewerkschaftsarbeit beschäftigt und bin in den Betriebsrat gewählt worden. Zusätzlich leisteten wir für die linke Bewegung in der Türkei Unterstützung durch Öffentlichkeitsarbeit, Spendensammlungen und bundesweite Demonstrationen, wie Hungerstreiks etc. Damals traten die Grauen Wölfe sowohl in der Türkei als auch in Hamburg massiv und brutal in der Öffentlichkeit auf, so dass wir uns hier in Hamburg gegen sie organisierten, Widerstand leisteten und sie zurückdrängten. 1980 wurde in der Türkei erneut vom Militär geputscht. Mit allen Kräften haben wir versucht Widerstand zu leisten und haben z.B. bundesweite Demos organisiert, stark gefährdete Intellektuelle ins Ausland gebracht und so vor starken Repressalien und Folter bewahrt sowie Hungerstreiks für Verfolgte organisiert.

Wie habt ihr euch sonst organisiert?

Döne Eine meiner Töchter wurde wegen ihrer Zugehörigkeit zum Alevitentum in der Schule von islamischen Mitschüler*innen sogar geschlagen. Es gab u.a. Besuche der türkischen Religionsbehörde, die den Familien ausreden wollten, den Mädchen die Gleichberechtigung zu ermöglichen. Ich habe mich dagegen stark engagiert. Unter anderem aus diesem Grund erkannten wir die Notwendigkeit, ein alevitisches Zentrum zu gründen. 1988 gründeten wir dann mit unseren Freund*innen die erste alevitische Gemeinde in der BRD – in Hamburg. Damit hatten wir einen Ort, an dem wir unsere offene Kultur, Religion und Philosophie, die für Gleichberechtigung und Freiheit steht, leben und der Öffentlichkeit vermitteln konnten. Unseren Kindern konnten wir an diesem Ort die alevitischen Werte und Traditionen vermitteln.

Nach einem langen politischen Leben in der Türkei und in Hamburg: Was ist Eurer Meinung nach für die junge Generation in der Zukunft wichtig?

Oruc, Döne Wir haben unser Engagement nie bereut, aufgrund unserer Erfahrungen möchten wir der jüngeren Generation sagen, dass die Vielfalt in unserer Gesellschaft gefördert werden muss – dies ist sehr wichtig für ein soziales und demokratisches Zusammenleben und Miteinander in Freiheit. Das muss in Zukunft stark verteidigt werden: die Gefahr, dass unsere deutsche Demokratie zerstört werden kann, war noch nie so groß. Zum Glück tun unsere Kinder dies!