Ratschlag DER VIELEN: Handeln gegen Rechtsextremismus
Unter dem Motto RATSCHLAG DER VIELEN – Handeln gegen Rechtsextremismus kamen am 28. November 2024 in der Akademie der Künste in Berlin zivilgesellschaftliche Akteur*innen, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Politiker*innen, Engagierte und Aktivist*innen aus dem gesamten Bundesgebiet sowie Österreich zusammen. Die Veranstaltung wurde vom bundesweiten Bündnis DIE VIELEN organisiert und fand in fünf Berliner Kultureinrichtungen statt: der Akademie der Künste, dem GRIPS Theater, dem HAU Hebbel am Ufer, dem Humboldt Forum und dem Maxim Gorki Theater. Über 400 Teilnehmende beratschlagten während der ausgebuchten Veranstaltung über den dringenden Handlungsbedarf gegen Rechtsextremismus und rechtsextreme Parteien.
Angesichts der jüngsten Wahlerfolge rechtsextremer Parteien und allgemeiner antidemokratischer Entwicklungen sowie mit Blick auf die anstehenden Bundestagswahlen 2025 wurden unterschiedliche Vorgehensweisen und Strategien diskutiert. In Panels, Impulsvorträgen, künstlerischen Beiträgen und Arbeitsgruppen wurde die zentrale Frage diskutiert: Was tun? Wie können DIE VIELEN gemeinsam handeln und agieren, um unsere Demokratie und die demokratische Öffentlichkeit zu schützen und zu stärken?
Dabei wurde deutlich, dass es nicht ausreicht, politische, kulturelle, juristische oder soziale Aspekte isoliert zu betrachten. Im Einklang mit dem Kampagnenaufruf »Shield & Shine« wurde im Laufe des Tages klar, dass Demokratie nur dann wirksam verteidigt werden kann, wenn gemeinsame Öffentlichkeiten – ob in Parlamenten, Parteien, der Zivilgesellschaft oder in der Kultur – eng miteinander verbunden und aufeinander abgestimmt zusammen agieren. Denn nicht nur die Kultur und die Künste sind verletzlich und bedroht – die Demokratie selbst ist in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie so stark gefährdet gewesen wie heute.
Die Teilnehmenden VIELEN sind der Ansicht, dass es das starke Engagement der Kultur und der Künste für eine lebendige demokratische Gesellschaft braucht. Zugleich besteht ein dringender politischer Handlungsbedarf: Reformen des Gemeinnützigkeitsrechts und des Neutralitätsgebots für Theater, Museen, Kulturorte und Vereine, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, sind unverzichtbar. Es braucht Empowerment, Bündnisse, Synergien und eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Land und Stadt ebenso wie zwischen verschiedenen zivilgesellschaftlichen Initiativen.
Um Demokratie und Kunstfreiheit wirkungsvoll zu verteidigen, gilt es, gesellschaftlicher Polarisierung entgegenzuwirken. Räume für unterschiedliche Positionen müssen geöffnet, Meinungspluralität akzeptiert und Differenzen ausgehalten werden – jedoch nur, solange diese nicht rechtsextremen, rassistischen, antisemitischen oder anderweitig diskriminierenden Zielen getragen sind. Um solchen menschenverachtenden Ideologien entgegenzuwirken, wurde im Sinne einer streitbaren, wehrhaften Demokratie auch der Artikel 21 des Grundgesetzes – das Verbot verfassungsfeindlicher Parteien – im Kontext der aktuellen politischen Lage als Ultima Ratio diskutiert. Dabei wurde deutlich, dass das Engagement der Künste und der Kultur untrennbar mit der Verteidigung ihrer Freiheit verbunden ist.
Der RATSCHLAG DER VIELEN bildet ein Modell: Der erste RATSCHLAG in Berlin gab Impulse und schuf Vernetzung, um auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene langfristig in starken Bündnissen aktiv gegen Rechtsextremismus zu handeln.
In einer Zeit wachsender Vereinzelung und Polarisierung fördern gerade Kulturorte wie Theater, Museen, Bibliotheken, Musikklubs oder Soziokulturelle Zentren – als Orte der VIELEN – das Miteinander und den Austausch, um weitere Bündnisse für eine Wehrhafte Demokratie zu schaffen. Das Modell der Ratschläge wird von den VIELEN in die Städte und Regionen getragen.
Schaffen wir offene Räume des Miteinanders gegen den Hass!
WIR SIND VIELE - JEDE*R EINZELNE VON UNS.
DIE VIELEN
Statements
Anh-Linh Ngo, Vizepräsident der Akademie der Künste:
»Die Kunstfreiheit ist ein Grundpfeiler der Demokratie, da sie Räume schafft, in denen exploratives Denken und Sprechen innerhalb weiter Grenzen möglich sind. Verdrängtes kann verarbeitet, Konventionen können gesprengt und der Kreis der Themen und Akteur*innen kann erweitert werden. Diese Offenheit ist essenziell für die Liberalität demokratischer Gesellschaften. Doch die Kunstfreiheit gerät zunehmend unter Druck. Die Polarisierung der Gesellschaft spielt rechts- wie linksextremistischen Bewegungen in die Hände: Zum einen werden Positionen durch Skandalisierung, Resolutionen und restriktive Förderpolitik gesteuert und eingehegt, zum anderen Gegenpositionen durch Canceln und Boykotte, durch Zensur oder Niederbrüllen unterdrückt. Solche illiberalen Entwicklungen gefährden die Fähigkeit der Kunst, offene Debatten zu ermöglichen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern; sie müssen entschieden zurückgewiesen werden.«
Amelie Deuflhard, Künstlerische Leitung Kampnagel:
»Kunst und Kultur tragen in sich das Potenzial, gesellschaftliche Diskurse zu öffnen und Lösungen gesellschaftlicher Herausforderungen erfahrbar zu machen. In Zeiten des Rechtsrucks braucht es dafür mehr denn je gute Bedingungen, um ihre Strahlkraft beizubehalten: Eigenverantwortung und künstlerische Freiheit, das Vertrauen von Zivilgesellschaft und Politik sowie eine verlässliche finanzielle Stärkung, um gemeinsam resiliente Strukturen zu schaffen und zu bewahren.«
Jörg Albrecht, Künstlerische Leitung Burg Hülshoff - Center for Literature (CfL)):
»Wäre dies der Moment, sich zu solidarisieren mit jenen, die schon lange drangsaliert werden im schrumpfenden Sozialstaat, auf dem deregulierten Mietmarkt und im immer unerbittlicheren Asyl-Regime? Wäre dies der letzte Moment jene aufzuhalten, die Demokratie verachten und Entrechtungvorantreiben? Wäre dies der Moment, das Grundgesetz zur Aufführung zu bringen?«
Annemie Vanackere, Intendantin und Geschäftsführerin HAU Hebbel am Ufer
»Wir stehen vor Bedrohungen, in der Weltpolitik und in der deutschen Politik, die viele von uns ohnmächtig, ängstlich und verzweifelt machen. Die Bühnen der Freien Darstellenden Künste sind die Orte, an denen wir uns mit diesen Bedrohungen und mit ihren Wirkungen auf uns beschäftigen können. Dazu sind sie da: Mit unserer Angst umzugehen, die Lage zu verstehen, unsere Menschlichkeit zu bewahren und gemeinsam aus der Passivität herauszukommen.
Wer Hand an diese Struktur legt, macht uns als Gesellschaft öde, kalt und einsam. Wir müssen uns dringend beraten ob und welche politische Agenda verfolgt wird?«
Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats und Sprecher der Initiative Kulturelle Integration:
»Die Kunstfreiheit erlebt aktuell große Bedrohungen von verschiedenen Seiten. Rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte versuchen, Kunst und Kultur zu vereinnahmen und die Freiheit der Kunst einzuschränken. Wir sehen aber auch den Versuch von Linksextremen, mit Hilfe von Boykottaufrufen die freie Ausübung der Kunst einzuschränken. Beiden Tendenzen müssen wir im Kulturbereich unbedingt und deutlich entgegentreten.«
Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien Hamburg und Präsident des Deutschen Bühnenvereins:
»Jetzt geht es darum, die Freiheit zu bewahren. Die Freiheit, etwas zu können und die Freiheit, mit etwas konfrontiert werden zu können. Es ist wichtig, dass wir uns bewusst machen, dass der freie öffentliche Raum nicht vollständig als ,safe space‘ organisiert sein kann. Schließlich sind die Gefahren öffentlicher und künstlerischer Interventionen ein Wesensmerkmal freier demokratischer Gesellschaften. Aus ihnen können wertvolle Debatten entstehen, wenn wir gesellschaftlich Verantwortung dafür übernehmen, dass sie respektvoll und aufklärerisch verlaufen. Wir müssen diese Freiheiten gegen alle Versuche der Einschränkung, des Boykotts oder der Vereinnahmung verteidigen. Dazu ist es unerlässlich, sich zu vernetzen, zu solidarisieren, aufeinander aufmerksam und miteinander aktiv zu werden. Eben: Viele und damit vielfältig zu sein.«
Claudia Schmitz, Geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins:
»Es gibt nicht mehr viele Orte in der Gesellschaft, an denen wir mehrere Stunden zusammen mit hunderten, uns weitgehend unbekannten Menschen verbringen, den gleichen physischen und mentalen Raum teilen, die gleiche Luft atmen, über ein Thema nachdenken, eine Geschichte verfolgen, verschiedene Perspektiven wahrnehmen und auf uns wirken lassen dürfen. Das Erleben dieser gemeinsamen Erfahrung in einem Theater berührt und irritiert zu werden, ist entscheidend für den Erwerb eines gemeinsamen Referenzrahmens und für unser Zusammenleben. Das ist die Stärke der Theater und Orchester und damit stärken sie unsere Demokratie.«
Johannes Kirsten (Leitender Dramaturg / Maxim Gorki Theater Berlin)
»Am Gorki, gibt es viele Menschen mit langer Erfahrung im Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus, von der Intendantin Shermin Langhoff über die Mehrheit unseres Ensembles und einem großen Teil des Kollegiums, bis zu den Mitarbeiter*innen der Kantine. Etwas riskieren! Nehmen wir uns das in allen Theatern zu Herzen! Riskieren wir weiter, unbequem zu sein, uns klar gegen Rechts zu stellen und riskieren Sie in der Politik endlich das Verbotsverfahren gegen die AfD!«
Jagoda Marinić, Autorin:
»Initiativen wie diese sind unverzichtbar in Zeiten, in denen ausgerechnet jene sich nicht für die Kultur einsetzen, die politisch dafür zuständig wären. Es geht derzeit - nicht nur in Berlin - um mehr als die Kürzungen der Mittel. Es geht um das Kulturverständnis als solches. Demokratische Freiheitsräume werden kaputtgespart, Infrastruktur gefährdet. Kultur, Bildung, Soziales und das Gesundheitswesen werden dabei gerne gegeneinander ausgespielt. Dieser Tag in der Akademie der Künste sowie die gesamte Initiative der Vielen macht Hoffnung, weil nicht nur die Kulturszene sich vernetzt, sondern darüber hinaus Bündnisse entstehen, die demokratische Freiheitsrechte gemeinsam verteidigen.«
Bijan Moini, Autor und Jurist:
»Der beste Schutz für die Freiheit ist, von ihr Gebrauch zu machen: auf die Straße zu gehen, sich zu äußern, Kunst zu schaffen, sich zusammenzuschließen, sich auszuleben. Freie Menschen sind das wahre Bollwerk gegen den Faschismus.«
Holger Bergmann, Die Vielen e.V.:
»Die Vielen stehen für den utopischen Raum in der Kunst, der zur Veränderung der Welt beitragen kann, indem er aufzeigt, wie wir leben könnten, was wir aushalten müssen, wo das Unbekannte beginnt vertraut zu werden – in einer radikalen Präsenz der Kunst, die uns erschüttern, verzaubern und verändern kann! ‚Es ist nicht wie es ist! Es ist, wie wir wollen, dass es wird.‘ schreibt Wolfram Lotz in ‚Das Unmögliches Theater‘. Lasst uns also die Normalisierung des Rechtsextremismus durchbrechen indem wir unsere Alltags-, Kunstproduktions- und Aufführungsroutinen unterbrechen und Raum schaffen für die Fortentwicklung der Demokratie.«
Pressefotos finden Sie unter: https://dievielen.de/downloads
RATSCHLAG DER VIELEN – Handeln gegen Rechtsextremismus
DIE VIELEN in Kooperation mit der Akademie der Künste
und Burg Hülshoff – Center for Literature (CfL), Deutscher Bühnenverein, Deutscher Kulturrat, Fonds Darstellende Künste, Maxim Gorki Theater, GRIPS Theater, HAU Hebbel am Ufer, Initiative kulturelle Integration, Kampnagel, Kulturforum der Sozialdemokratie, Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss und VIELE andere mehr.