Warum wir für heute Abend absagen: Eine kurze Stellungnahme
Daniel Manwire (Anti-Atom-Büro Hamburg)
Wer spricht denn da?
Seit mehr als drei Jahrzehnten versuchen wir als Anti-Atom-Büro Hamburg die Folgen des Uranabbaus im globalen Süden in der bundesdeutschen Debatte um eine Energieversorgung sichtbar zu machen (https://www.dont-nuke-the-climate.org/). Als Anti-Atom-Gruppe in Hamburg nicht zuletzt durch das Dokumentieren von Urantransporten durch den Hamburger Hafen. Die darin steckende Kolonialität versuchen wir seit Jahren unter anderem im Gespräch mit Aktivist:innen aus Brasilien, Tansania oder dem Niger auch hier in Deutschland aufzuzeigen. Im August 2023 z.B. bei einer Diskussionsveranstaltung auf dem System Change Camp in Hannover, zusammen mit Laura Chaparro von der Gruppe Aktion Guajira zur Kolonialität des Kohleabbaus in Kolumbien und des Uranabbaus in Niger (https://www.youtube.com/watch?v=oNvwqhC_esE).
Spätestens seit der Mobilisierung zum G7 in Heiligendamm 2007 und dem Klima- und AntiRa-Camp in Hamburg 2008 haben wir versucht, uns jenseits der Energiepolitik auch in die sich entwickelnde Klimagerechtigkeitsbewegung einzubringen. Mit Begeisterung waren wir immer wieder Teil der verschiedenen Aktionen und Kampagnen gegen den Braunkohleabbau im Rheinischen Revier.
Vor diesem Hintergrund haben wir uns sehr über die Anfrage von Kampnagel zu einer Teilnahme am heutigen Podium und die Aussicht auf eine angeregte Debatte mit deutlich anderen Bewegungsperspektiven innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung gefreut.
Gerade aus bewegungslinker Perspektive gäbe es einigen Anlass, sich z.B. mit der Letzten Generation zu streiten. Auch eine Debatte darüber, was emanzipatorische Politik mit Blick auf koloniale Machtverhältnisse sein kann und sollte, wäre angebracht. Unser Anliegen für den heutigen Abend wäre also genau das: einen solidarischen Streit zu führen – wir glauben, dass das nötig ist, und hoffen, diese Debatte an anderem Ort führen zu können.
Aber...
Wir wollen diese Auseinandersetzungen mit allen führen, die sich - wie wir - für eine andere Welt, für eine emanzipatorische Perspektive einsetzen und wollen dafür Voraussetzungen schaffen, die es möglichst vielen ermöglichen, sich an der Debatte zu beteiligen. Dafür ist es notwendig, proaktiv entlang der verschiedenen gesellschaftlichen Machtverhältnisse Barrieren zu beseitigen oder zumindest abzumildern. Kampnagel ist dafür häufig ein guter Ort mit viel Expertise, z.B. in Bezug auf körperliche Einschränkungen.
In Bezug auf Antisemitismus sind diese Bemühungen bei diesem Kongress jedoch gescheitert. Jüdische Personen sahen sich gezwungen, durch eine Kundgebung darauf aufmerksam zu machen, dass durch eine Referent:in ein Antisemitismus vertreten wird, den sie nicht bereit sind zu tolerieren. Wir haben das gehört, und wir nehmen das ernst.
In einem intersektionalen Diskurs darf ein Mitdenken von Antisemitismus nicht fehlen. Nicht immer ist Antisemitismus die primär betrachtete Achse von Intersektionen, aber es sollte darauf geachtet werden, das jüdische Positionen zumindest gehört werden könnten. Das ist aus unserer Sicht angesichts der Keynote von Zamzam Ibrahim auf dem gegenwärtigen Kongress nicht mehr gegeben.
Nicht hier und nicht heute…
Wir haben uns die Entscheidung für diesen Abend abzusagen nicht leicht gemacht und mehrere Stunden Debatte in diese Entscheidung gesteckt. Es geht uns nicht um einen Eklat, nicht um einen Rückzug auf den "moral highground" und wir sind durchaus robuste Debatten gewohnt. Auch ist uns klar, dass der Antisemitismus nicht verschwindet, wenn wir nicht mit auf dem Podium sitzen, aber wir halten eine angemessene Diskussion an dieser Stelle für unmöglich. Wir hoffen, dass wir sie an anderem Ort und zu anderer Zeit ebenso wie die im Programm angekündigte Debatte führen können und stehen dafür gerne zur Verfügung. Dann hoffentlich auch wirklich vorbereitet und ohne einen gesetzten Ausschluss jüdischer Positionen.
Wir möchten auch weiterhin mit und bei Kampnagel Politik machen. Dafür brauchen wir von Kampnagel eine Auseinandersetzung mit der Situation die jetzt entstanden ist, und stehen auch dafür zur Verfügung.
Einen Dank an alle, die Recherchearbeit zu dieser Situation geleistet haben, unter anderem auch an Stefan Hensel und sein Team.
Einen Dank an alle betroffenen Personen, die den Mut zu einer Kundgebung gefunden haben.
27.01.2024 Anti-Atom-Büro Hamburg
P.S. Perspektive Befreiung
Bewegungen, die sich gegen Kolonialismus richten, sind nicht pauschal emanzipatorisch, und selbst ehemals emanzipatorische Bewegungen wie die Sandinisten können sich anti-emanzipatorisch entwickeln. Das iranische Regime und die antisemitisch motivierten Täter des Massakers vom 7. Oktober mögen „antiimperialistische“ oder gar antikoloniale Reden vor sich her tragen, ihren Begriff von Befreiung weisen wir jedoch zurück – für uns stehen sie nicht zuletzt für patriarchale Gewalt und eliminatorischen Antisemitismus.
Zurückzuweisen sind aber ebenso rassistische bzw. anti-muslimisch motivierte Gewaltandrohungen gegen Zamzam Ibrahim.