[K]onversations mit Regina Rossi, Fernanda Ortiz, Gloria Schulz und Lucia Rainer
Oktober 2023
Vom 16.–18. November feiern zwei Produktionen von Hamburger Künstler*innen Premiere, die Tanz und Virtual Reality-Technologie miteinander verbinden: Regina Rossi und Gloria Schulz präsentieren mit BREAKING VIRTUAL eine Weiterentwicklung ihres partizipativen »Tanzunterrichts der Zukunft«, diesmal in Zusammenarbeit mit Künstler*innen der HipHop Academy Hamburg. Fernanda Ortiz und die Dramaturgin Lucia Rainer beschäftigen sich in BODIES UNDER INFLUENCE mit der Verbindung der realen mit der virtuellen Welt, wo Körper und Welt miteinander verschmelzen. Im Gespräch mit Kampnagel-Dramaturgin Anna Teuwen sprechen sie über die Weiterentwicklung von Tanz und die Notwendigkeit, neuen Technologien mit künstlerischen Zugriffen zu begegnen.
Was fasziniert Euch speziell am Medium VR?
Regina Rossi Dass ich Bilder aus meiner Vorstellungskraft wirklich vor Augen habe!
Fernanda Ortiz In eine computergenerierte, interaktive, digital hergestellte Umwelt mit dem eigenen Körper eintauchen zu können, ist eine außergewöhnliche Erfahrung. Mich fasziniert, dass mein (digitaler) Körper losgelöst von jeglichen Gesetzen der Schwerkraft, physischer Verortung und biologischen Kategorien existieren kann. Die Erweiterung des Körpers ist unschlagbar.
Gloria Schulz Mich fasziniert die kollektive Immersion des Mediums. Natürlich tauche ich ebenso in neue Welten ein, wenn ich ein Buch lese. VR erlaubt es mir aber, diesen Immersionsgrad mit anderen zu teilen, sodass wir gleichzeitig und zusammen Narrative entdecken können.
Und was reizt Euch an der Verbindung von Technologie und Tanz?
Fernanda Ortiz Die digitale Technik erweitert die ästhetische Tanzerfahrung in jeder Hinsicht, sie fügt andere Materialitäten und Zeitlichkeiten hinzu ...
Lucia Rainer ... sie entkoppelt Körperlichkeiten und macht sie dadurch realer.
Gloria Schulz Mich interessiert vor allem die interdisziplinäre Auseinandersetzung. Die VR-Brille, die ich aufziehe, ist eine neue Bühne, die ich betreten kann. Als Programmiery sitze ich eigentlich den ganzen Tag am Schreibtisch, ohne viel Bewegung und Abwechslung. Dement- sprechend ist mein Körpergefühl nicht so ganz präsent. Mit der Verbindung von Tanz und VR wird jetzt dieses Defizit umgekehrt: Durch die Distanz zu meinem Körper, durch das Verwenden eines Avatars und die neuen Bewegungen, bin ich am Ende viel mehr bei mir selbst. Ich spüre meinen Körper, vor allem, weil ich ihn nicht genau sehe. Und ich denke, genau das ist es, was auch ein Teil unseres Publikums spürt.
Gloria SchulzDie VR-Brille, die ich aufziehe, ist eine neue Bühne, die ich betreten kann.
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Im Tanz steht der Körper und seine Bewegungen im Mittelpunkt. Welche Potentiale seht ihr in der Technik Motion Capturing, die ihr beide einsetzt, eine Technik, mit der Bewegungen digitalisiert werden können?
Regina Rossi Motion Capturing hat viele Potentiale – vom medizinischen Bereich bis zur Archivierung von Tanztechniken und Bewegungsvokabular. Mich interessieren besonders die Chancen für die ästhetische und kulturelle Bildung.
Gloria Schulz Mit DANCE MACHINES, unserem ersten VR-Tanzprojekt, sprechen wir ein Publikum ab 11 Jahren an. Wir zeigen das Stück oft in Schulen. In Billstedt kam eine Lehrerin auf mich zu und fragte: »Wie kündige ich euch denn an? Ich habe schon gesagt, dass es ein Tanzunterricht ist, deswegen möchte jetzt nur noch die Hälfte der Schüler*innen kommen.« Darauf meinte ich, es sei gut zu erwähnen, dass es der Tanzunterricht der Zukunft mit VR-Brillen sei: Kein Platz blieb leer. Alle bewegten sich. Nicht zuletzt, weil mit dem Aufsetzen der VR-Brille die Kinder nicht mehr erkennen können, wer die anderen sind. Alle haben den gleichen Avatar und plötzlich ist es niemandem mehr peinlich zu tanzen.
Fernanda Ortiz Mein künstlerischer Ansatz entkoppelt bewusst den digitalen Körper von seinen Bewegungen, um die Mechanismen der digitalen (Tanz-) Produktion sichtbar zu machen. In BODIES UNDER INFLUENCE tracken wir die Tanzbewegungen in Echtzeit mit dem Motion Capturing-Anzug und streamen sie zugleich auf die VR-Brillen der Besucher*innen.
Wie war es für die Tänzer*innen, mit Motion Capturing zu arbeiten, wie waren die Reaktionen?
Fernanda Ortiz Das Motion Capturing System ist die Schnittstelle zwischen dem Körper und dem digitalen Körper. Die Bewegungsmöglichkeiten und das Körperempfinden für die Tänzer*innen ist erst- mal gewöhnungsbedürftig und sie brauchen eine extra Portion Neugier und Geduld.
Es gibt zunehmend mehr Projekte in den darstellenden Künsten, die digitale Technologien miteinbeziehen. Ist die Welt bereit dafür? Was sind Eure Erfahrungen in Bezug auf Publikum, die Szene, die Produktionsbedingungen und Förderstrukturen?
Fernanda Ortiz Forschen und Arbeiten an der Schnittstelle zwischen darstellender Kunst & Technologie erfordert ganz andere Arbeitsbedingungen als übliche Bühnen- stücke. Ein Studio mit digitaler Ausstat- tung zum Forschen, Arbeiten und Testen wäre wichtig; ebenso wie Netzwerktreffen, Programme zum Wissensaustausch.
Regina Rossi Die Welt ist nicht nur bereit dafür, sondern die Kommerzialisierung von VR als Entertainment-Technologie verbreitet sich rasch. Deshalb möchte ich auch weiter in dem Bereich arbeiten und forschen: ich finde wichtig, dass nicht nur kommerzielle Projekte den Menschen erreicht, sondern auch Projekte, die sowohl die künstlerischen und gemeinschaftsstiftenden Potenziale der Technologie, als auch deren Gefahren erforschen. Und ich finde, wir brauchen dringend Diskurse um Körperpolitik, die die Entwicklung einer Ethik in Bezug auf Avatare mitdenkt!
Regina RossiIch finde wichtig, dass nicht nur kommerzielle Projekte den Menschen erreicht.
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Lucia Rainer Da stimme ich Regina total zu. Das Gemeinschaftliche kann auch darin entstehen, dass sich auf einmal Menschen aus verschiedenen Szenen aufeinandertreffen, die wenig voneinander wissen. In unseren Projekten haben wir die Erfahrung gemacht, dass Menschen mit sehr unterschiedlichen Vorerfahrungen das Interesse an VR und Tanz teilen. Da- bei entstehen Begegnungen, die über den eigenen Tellerrand blicken lassen.
Fernanda Ortiz Oh ja, das Metaverse ist schon längst bereit dafür. Technologie ist viel zu wichtig, um sie nur in den Händen von Technologist*innen zu lassen. Deshalb arbeite und forsche ich weiter, um kritische künstlerische Perspektiven und digitale Zukunftsvisionen zu ent- wickeln, die nicht in einer Dystopie enden. Und ja, die Entwicklung einer Ethik ist genauso notwendig, wie Teilhabe und Zugang für marginalisierte Perspektiven zu schaffen, denn die Ungleichheiten und Ausschlüsse der digitalen Welt sind in den gleichen kapitalistischen und kolonialen Strukturen verankert, wie in der realen Welt. Ich empfinde die Potenziale von digitalen Technologien und darstel- lenden Künsten als eine gegenseitige Bereicherung: Neue Ästhetiken, neue Interaktionen mit dem Publikum, neue Publikums-Zugänge, und kritische künstlerische Annäherungen, die der digitale Wandel braucht.