Ein elegantes schwarzweiß Foto mit einer Person im dunklen Abendkleid und dunkel geschminkten Augen
© Frederik Busch
Ein elegantes schwarzweiß Foto mit einer Person im dunklen Abendkleid und dunkel geschminkten Augen
Dialog

[K]onversations mit Saeleen Bouvar

Saeleen Bouvar ist Gründerin und Kuratorin des SALON QUEERTRONIQUE und des TRANSTRONICA-Festivals, das in diesem Jahr im Rahmen von LIMINALITIES auf Kampnagel stattfindet. Kampnagel-Dramaturg*in Lucien Lambertz spricht mit ihr über die Geschichte und Mission des Festivals.

Saeleen, im Jahr 2022 hast Du das Festival TRANSTRONICA zusammen mit Kampnagel auf den Weg gebracht – das erste elektronische Musikfestival mit einem reinen trans* Line-Up. Seither bist Du die Salonnière des Festivals. Was bedeutet das für Dich?

Mit dem Titel der Salonnière setze ich die Kultur des weiblich geführten Salons fort. Salondame wurde ich 2017 mit der Premiere meines SALON QUEERTRONIQUE. Es handelt sich um ein Clubprojekt, welches sich von der traditionellen Clubkultur abgrenzt, die ursprünglich aus dem »Gentleman's Club« des cis-patriarchalen Hedonismus hervorging. Stattdessen strebte ich an, einen Ort zu schaffen, an dem Transvisibilität, musikalische Innovation und Queerness im Mittelpunkt stehen, alles im Rahmen eines klassischen, weiblich geführten Salons.

Was war Dein Beweggrund, TRANSTRONICA zu gründen, und was unterscheidet das Event von anderen queeren Angeboten in der Stadt?

TRANSTRONICA entstand ursprünglich als Jubiläumsedition des SALON QUEERTRONIQUE. Im Mai 2022 feierte der Salon sein fünfjähriges Bestehen mit dem Festival. Wie bereits beim Salon präsentierten an drei Abenden trans* Personen ihre Musik auf der Bühne, dieses Mal wurde das Event um Konzerte erweitert. Damals wusste ich schon, dass es ein solches Format in Norddeutschland zumindest noch nicht gab, was natürlich keine Überraschung ist. Generell sind queere Events selten, aber eines, welches dazu in die Deep Structure, also explizit trans*-fokussiert ist, verbleibt immer noch eine extreme Rarität. TRANSTRONICA geht auch in dem Sinne über die herkömmliche Queer-Szene hinaus, indem es trans* Künstler*innen sowohl lokal als auch international verbindet, um ihre künstlerischen Beiträge auf eine Plattform zu stellen. Insgesamt schaffen wir einen Ort, an dem nicht nur trans* Personen feiern, sich austauschen und netzwerken, wir schaffen ein Safe Space, eine Einladung, sich mit uns solidarisch zu zeigen und beeindruckende Kunst von trans* Musiker*innen zu würdigen.

Bei dem Festival treten nicht nur DJs auf – es gibt auch andere Formate, wie Konzerte und Performances. Was erwartet das Publikum dieses Jahr?

TRANSTRONICA ist ein multidimensionales Event. Das für mich eigentliche Hauptaugenmerk sind die Konzerte, die jeden Abend eröffnen. Hierbei ist es mir wichtig, möglichst verschiedene trans* Stimmen repräsentiert zu sehen, denn oftmals sind besonders trans* feminine Stimmen mit Scham behaftet, da sie sehr schnell in eine Geschlechtsbinarität gesteckt werden. Dieses Jahr freue ich mich besonders auf Jenys, eine russische Sängerin und Produzentin aus Paris, die sich zwischen Drum’n’Bass, Hyperpop und experimentellem R’n’B bewegt und bekannt is für ihre beindruckenden Performances. Ebenso wird RUI HO, die traditionelle chinesische Musik mit elektronischen, abstrakten Beats und Strukturen fusioniert, ihr TRANSTRONICA-Debut geben.

Wie waren die bisherigen Resonanzen auf das Festival?

Die Resonanz auf TRANSTRONICA war überwältigend. Schon nach der ersten Ausgabe war das Interesse groß, und viele Künstler*innen und Gäste kamen speziell wegen der einzigartigen Ausrichtung des Festivals. Wir haben ein breites, internationales Publikum erreicht, das sowohl die künstlerische als auch die politische Dimension des Festivals zu schätzen wusste. Allein beim letzten Festival kamen Besucher*innen aus Amsterdam und sogar aus Athen! Rouge Mary, eine der Hauptacts der letzten Edition, hatte mich bereits nach dem ersten Festival auf Instagram angeschrieben und wollte unbedingt dabei sein.

Deine eigenen DJ-Sets sind immer auch ein Stück Erinnerungskultur, und so auch das von Dir kuratierte Festival. Kannst Du das erklären?

Durch meine eigene Transition bemerkte ich einen Einbruch in meinen eigenen Bookings. Das erlaubte mir etwas in mich zu gehen und durch meine eigene Musiksammlung zu gehen. Bei dieser Recherche bemerkte ich zwei Sachen: Zum einen was für eine große Varietät an Musikgeschichte ich in den Jahren gesammelt habe und wie sich Sounds und Strukturen wiederholen, bzw. wieder aufgenommen werden. Zum anderen wurde mir während dieser Arbeit bewusst, wie wenig trans* Menschen in der Musikszene repräsentiert wurden, bzw. werden. Wir erleben endlich ein Bewusstsein für die Pionierarbeit schwarzer und queerer Musiker*innen, die die Grundlage für die heutige elektronische Musik gelegt haben, jedoch oft aus der Erzählung herausgefallen sind, es fehlen aber immer noch Formate und Herangehensweisen, dies im Werk zu thematisieren. Ich versuche dies in meinen Sets durch bewusste Collagierung von Stücken und Rhythmen umzusetzen, sodass sich jedes Set wie eine zusammenhängende Erzählung anhört und die Körper zu einer Art korporealen Zeitreise einlädt.

Um wen geht es bei dieser Ausgabe des Festivals?

In diesem Jahr widmet sich das Festival den »Icons«, welches auch der Titel der diesmal zwei Abende ist. Es geht um zwei besondere trans Frauen, die mit ihrem Werk und ihrem Leben Herausragendes für die trans* Community taten. Der erste Abend ehrt Jacqueline Charlotte Dufrsnoy, besser bekannt als Coccinelle, die in den 50er Jahren als eine der Hauptattraktionen der Pariser Cabarets »Chez Madame Arthur« und »Le Carroussel« gefeiert wurde. Sie war eine Wegbereiterin, eine Pionierin, half vielen anderen trans Frauen auf ihrem Weg der Transition, darunter auch Bambi und Romy Haag. Der zweite Abend erinnert an Souzana, eine der bedeutendsten und schillerndsten Persönlichkeiten der Straßen Beiruts. Während viele Medien erhofften, sie vor laufender Kamera zu demütigen, bewegte ihre Obdachlosigkeit und ihr Leben unter täglicher Gewalt viele Menschen, sodass nach ihrem Tod die Videos auf den sozialen Medien sich mit Nachrufen der gesamten arabischsprachigen LGBTQI+ Community füllten. Souzana, oder Souzy, wie sie genannt werden wollte, erschuf mit ihrer Sichtbarkeit einen digitalen Raum für die unsichtbare arabische queere Community.

Wie drückt sich das im Programm des Festivals aus?

Das Cabaret ist die Heimat vieler trans* Ikonen, so auch für Coccinelle. Als gesellschaftlicher Abort faszinierte seine Ästhetik stets den Mainstream und inspirierte ihn maßgeblich. Ebendiese Faszination und Formung der aktuellen Musikszene übt auch das von trans* weiblichen Musiker*innen erschaffene Genre des Hyperpop.

Souzy repräsentiert die Stimmen aus der Community, die oft nicht gehört werden, da sie aus Gesellschaften kommen, die trans* Menschen besonders stark verfolgen. Der zweite Abend wird daher eine Hymne auf die Sichtbarkeit und Solidarität darstellen.

Die Zeiten sehen politisch düster aus – wir erleben einen Rechtsruck, der auch Deutschland schon längst erreicht hat. Weltweit wird das Leben für trans*, inter und nicht-binäre Menschen prekärer und gefährlicher. Welche Funktion können Räume wie der von TRANSTRONICA in dieser Zeit erfüllen?

In einer Ära des Rechtsrucks, in der trans* Menschen zunehmend unsicherer werden, ist es wichtig, Räume der Solidarität und des Empowerments zu schaffen. TRANSTRONICA bietet eine Plattform für trans* Menschen, um ihre Stimmen zu erheben und ihre Erfahrungen zu teilen. Es ist ein Ort, an dem trans* Leben gefeiert wird, aber auch ein Raum zum Ausbauen der eigenen Netzwerke, ein nicht digitaler Raum, der dem gemeinsamen Abbau vom gesellschaftlichen Druck dient.

Also ist das Festival nicht nur für queere Zielgruppen gedacht? Ist jede*r willkommen?

Absolut, es ist eine Einladung zur Feier und Solidarität an alle. Wir möchten die breite Gesellschaft erreichen und Brücken zwischen queeren und nicht-queeren Menschen bauen. Gerade in einer Zeit, in der transfeindliche Diskurse zunehmen, brauchen wir mehr denn je die Unterstützung der breiten Öffentlichkeit. Das Festival ist nicht nur ein Raum der Feier, sondern auch ein Ort der Aufklärung und des Dialogs, bei dem wir ein tieferes Verständnis füreinander entwickeln können.

Wie gewährleistet das Festival, ein sicherer Raum für queere Publika und Künstler*innen zu sein?

Wir setzen klare Regeln und arbeiten eng mit Sicherheitskräften und queeren Organisationen zusammen, um die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten. Es gibt Awareness-Teams vor Ort, die im Falle von Problemen sofort eingreifen können. Wir sorgen dafür, dass der Raum respektvoll und achtsam genutzt wird und dass die queeren und trans* Künstler*innen sowie das Publikum sich sicher und willkommen fühlen.

Was sind die Highlights des diesjährigen Festivals?

Eines meiner persönlichen Highlights ist das Konzert von Lateena Plummer, trans* Dancehall Queen aus Jamaika, die ihr neues Album mit dem Produzenten Bony Fly vorstellen wird. Auch dieses Mal wird es so einige Überraschungen geben, es lohnt sich daher auf jeden Fall zu kommen!