Apparat
Krieg & Frieden
Krieg & Frieden
Vergangene Termine
18.06.13
20:30
Der deutsche Theaterregisseur Sebastian Hartmann hatte 2012 mal eine gute Idee: Er fragte den Berliner Sound-Bastler Sascha Ring mit seinem Band-Projekt Apparat eine Bühnenadaption von Tolstois Jahrhundertwälzer »Krieg und Frieden« zu vertonen. Apparat entwickelten einen Soundtrack fürs Theater, den sie live während der Inszenierung spielten und der auf dem letzten Apparat-Album »The Devil’s Walk« aufbaute – einem Popgroßwerk im elektronischen Knarzgewand, das 2011 die Jahresbestenlisten anführte und mit dem Apparat weltweit die Konzertsäle aufmischten (2012 auch auf Kampnagel). Die Eroberung des akustischen Klangspektrums mit digitalen Mitteln war ein Schritt in Richtung Zukunft der Popmusik und wird auf »Krieg und Frieden« noch verstärkt: Apparat schichten musikalische Texturen übereinander und entwerfen dichte Atmosphären, die wie Bühnenbilder klingen und den Tolstoi-Text in Musik übersetzen. Das live zu hören ist wie Theater schauen ohne allem, was an Theater nervt: Die Inszenierung von Apparat in der Musik reicht aus, um die Tolstoi-Welt in großen Bildern auf die Bühne zu stellen.
Vor dem Konzert führt das Künstlerkollektiv KRAUTZUNGEN das Projekt Krieg&Frieden fort.
GeschichteFür Sascha Ring a.k.a. Apparat ist Klangforschung auch immer Gefühlserkundung. Auf sieben Alben und diversen Maxis hat der aus Quedlinburg in Sachsen- nhalt stammende, in Berlin lebende Lockenschopf einen facettenreichen, emotionalen Kosmos entwickelt. Man meint, ihn mittlerweile so gut zu kennen wie einen langjährigen Freund. Seine beiden Frühwerke »Multifunktionsebene« (2001) und »Duplex« (2003) nahmen der elektronischen Musik ihre Abstraktheit und entwickelten ein neues Gefühlsspektrum, das deren erprobte Modi, Klangforschung und Partytaumel, hinter sich ließ. International bekannt wurde Sascha durch sein nächstes Album, »Walls« (2007). Indem er seiner Stimme einen größeren Raum gab, brachte er zum ersten Mal Song und Groove in ein Gleichgewicht. Nicht weniger Aufsehen erregten Kollaborationen mit Ellen Alien (»Orchestra of Bubbles«) und Modeselektor (als Moderat). Sascha begann auf der ganzen Welt aufzutreten. Aber er blieb niemals bei dem zuletzt gesteckten stilistischen Bezugsrahmen, beim althergebrachten Arbeitsprozess stehen. So gründete er 2010 die Apparat Band, um sich einem neuen, akustischen Klangspektrum zu öffnen.Krieg und FriedenIm Frühling letzten Jahres stellte Sascha sich einem ganz neuen Betätigungsfeld: dem Theater. Der Regisseur Sebastian Hartmann, der als einer der großen Innovatoren des deutschsprachigen Gegenwartstheaters gilt, lud ihn ein, an einem Mammut-Projekt mitzuarbeiten: Tolstois »Krieg und Frieden« sollte für die Ruhrfestspiele in Recklinghausen als Theaterstück umgesetzt werden. Am Anfang war Sascha noch nicht klar, was ihm dieses Projekt abverlangen würde. Er erwartete nach einem Drehbuch einzelne Szenen zu vertonen, die bei den Aufführungen abgespielt werden. Bei den ersten Treffen mit dem Regisseur stellte sich aber heraus, dass es nichts gab, was einem Script oder Drehbuch gleichkommt. Es ist Teil Hartmanns Arbeitsweise, den Text erst in den Proben mit dem gesamten Ensemble zu erarbeiten. Sascha kommentiert: »Bei einem Album wäre das so, wie wenn die Band nur mit einem Konzept oder einer Idee im Hinterkopf anfängt zu jammen. Das ist überhaupt nicht meine Arbeitsweise. Ich gehe sehr vorbereitet ins Studio. Ich überlege mir, wie was klingen soll, was in meine Toolbox reinkommt und sammele Skizzen.« Zeit seine Toolbox zu erstellen hatte Sascha dann aber doch: Zufälligerweise stand ein Urlaub auf einer kleinen, thailändischen Insel an: »Hartman sagte: Lies das Buch durch und guck, was passiert. Wir sehen uns bei den Proben... Ich habe den Roman mit nach Thailand genommen und da jeden Tag fünf Stunden gelesen und fünf Stunden Musik gemacht. Ich war auf dem Krieg-und-Frieden-Trip.«Im Anschluss verbrachte Sascha vier Wochen in der eigens für die Proben angemieteten Fabrikhalle mit dem gesamten, dreißigköpfigen Ensemble: »Mit konventionellem Theater hat das nichts zu tun. Da wird ein Raum geschaffen, in dem ein Haufen von Freaks freidrehen kann. Das fängt beim Licht an und hört bei den Schauspielern auf. Nachts haben wir dann in der leeren Halle an der Musik gearbeitet. Das war auch ein bisschen magisch.«»Krieg und Frieden« gilt als Klassiker Weltliteratur. Er beschreibt den russischen Widerstand gegen Napoleons Invasion aus der Perspektive einiger Aristokraten, zeigt deren Leben in dramatischen und alltäglichen Momenten. Sascha faszinierte, dass der Krieg für die Aristokraten wenig Schreckliches hat. Sie werfen sich voller Euphorie ins Schlachtengetümmel: »Da gibt es eine unglaubliche Entschlossenheit, diese Franzosen wieder aus dem Land zu schmeißen.« Die Musik hat aber nichts mit dem Russland in dieser Zeit zu tun: »Alle Powerthemen – Verzweiflung, Verrat, Liebe – kommen in der Inszenierung vor, aber nicht chronologisch. Es gibt eine lustige Situation, da sind alle Liebeszenen aus dem Roman in einer Szene vereint. Die Schauspieler haben ständig andere Namen. Das ist wahnsinnig verwirrend. Und auch sehr unterhaltsam.«MusikDas tief melancholische, an spätromantische Kammermusik erinnernde »44« erzeugt eine Vorahnung dessen, was kommen wird. Bei »44 (noise version)« sind die Streicher ganz in den Hintergrund gerückt, nur noch als feine, verwaschene Linie am Horizont zu erkennen. Ein Fläche schiebt sich in den Track, wie sie nur Apparat produzieren kann: Takt für Takt entstehen neue Klangtexturen, werden neue emotionalen Nuancen erfahrbar. Bei »LightOn« erklingt zum ersten Mal Saschas Stimme, innig, ergriffen. Der abstrahierte Gospel wird von ineinander stürzenden elektronischen Klängen gebrochen. »Tod«, »Blank Page« und »PV« bilden einen Bogen, der auf einen furiosen Höhepunkt im letzten der drei Tracks hinarbeitet, bei dem schrille Posaunen-Stöße in den Klangraum sinken wie zerberstende Gletscher. »K&F Thema (pizzicato)« setzt mit seinem zarten, verheißungsvollen Gitarrenklängen ganz neu an. Das Glockenspiel und die Streicher von »K&F Thema« heben diese Stimmung auf ein anderes Spannungsniveau, das von wunderschönen Percussions aufgefangen wird. »Austerlitz« nimmt die Schwere des Eröffnungsstücks wieder auf. Indem es uns die dramatischen Ereignisse noch einmal Revue passieren lässt, erlaubt es uns auch, herauszutreten: »A Violent Sky« ist aus Material entstanden, das in der Inszenierung keinen Platz hat. Der anmutige Song handelt von den kleinen Momenten, die gerade in ihrer Beiläufigkeit Größe entwickeln. »Krieg und Frieden« ist kein Soundtrack, der bei aller Schönheit doch nur Teil eines umfassenderen Werks ist. So ist Sascha auch mit diesem Album wieder ein Punktlandung gelungen: ein Trip voller wunderschöner Apparat-Momente auf einer anderen Bühne. Das Cover Artwork wiederum stammt von dem Leipziger bildenden Künstler Tilo Baumgärte, der gemeinsam mit Sebastian Hartmann auch das Bühnenbild der Theaterproduktion gestaltete.