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Grußwort von Senator Dr. Carsten Brosda

Kampnagel Spielzeiteröffnung / 40 Jahre Kampnagel

Liebe Frau Deuflhard,
Lieber Herr Zipf,
Liebe Mitarbeitende auf Kampnagel,
Liebes Publikum,

Besetzungsproben war der Name des ersten Festivals, mit dem vor 40 Jahren die Geschichte von Kampnagel als Ort der freien darstellenden Künste begann. Der selbstbewusste Widerstand und der unbedingte Wille zum künstlerischen Experiment, die in diesem Festivaltitel eingeschrieben sind, sind bis heute die beiden Sonnen, um die der Kampnagel-Planet [k] kreist. Auf seiner Umlaufbahn gehalten wird er dabei von der Aversion gegen die Konvention.

Kampnagel zeichnet seit seiner Gründung ein visionärer Optimismus aus. Eine Haltung, die die Vergangenheit (und deren Schrecken) nicht vergisst, trotzdem aber hoffnungsfroh in die Zukunft blickt. Das Motto des Jubiläums, „The future is unwritten“, ist dieser Auffassung nach ein Grund zum Feiern.

Der aktuelle Krisenmodus, der uns allen in den Knochen und Köpfen steckt, muss unser Morgen nicht in jeden Fall bestimmen. Wir haben es in der Hand. Gerade Kunst kann uns Wege in eine bessere Zukunft aufzeigen.

Und Kampnagel sagt: Wird schon klappen, hat es bisher ja auch. Nur wer wagt, kann gewinnen. Oder, um eine grüne galaktische Koryphäe, Yoda aus Star Wars, in Sachen Selbstwirksamkeit zu zitieren: "Do or do not. There is no try." Nicht nur versuchen, sondern machen. Der Versuch selbst ist die Tat, die Widerständigkeit das Programm und die Probe bereits die erste Aufführung,

Denn gerade auch vom Ausprobieren lebt dieser Kulturort. Aus Besetzungsproben entstanden, begegnet uns der Begriff „Probe“ bis heute auf Kampnagel immer wieder: Probenpläne, Probebühnen, Haupt-, General- und Fotoproben... Auch die finale Theateraufführung ist letztendlich noch eine Probe. Der Zustand der unveränderbaren abgeschlossenen Aufführung wird nie erreicht.

Das, was auf der Bühne geschieht, kann als Probe für die Wirklichkeit verstanden werden. Auf der Bühne sehen wir, was in der Realität umsetzbar wäre. 
Michel Foucault prägte hierfür den Begriff „Heterotopie“, also „tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können.“

Die Themen, die Kampnagel auf die Bühne bringt und dem Publikum zur Debatte bereitstellt, sind große Themen, jene, die unsere Gesellschaft umtreiben. Dass diesen Themen eine Bühne geboten wird, ist heute wichtiger denn je!

Damit wird ein wesentlicher Beitrag geleistet für ein Nachdenken darüber, was möglich wäre und sein muss! Wie unsere Gesellschaft aussehen könnte: fairer, gerechter, toleranter.

Vom Blick nach vorn der Blick zurück: Das ehemalige Maschinenwerk „Nagel&Kaemp“ wurde 1981 stillgelegt – der Name Kampnagel war zu diesem Zeitpunkt schon länger als Wortneuschöpfung etabliert. Das Gelände diente dem Deutschen Schauspielhaus während Umbauten als Ausweich-Spielort bevor es die freien Theatergruppen des Besetzungsproben-Festivals zu nutzen wussten. 
Aus dem Ersatzspielort wurde ein fester Spielort für weitere Theatergruppen. Das erste Besetzungsproben-Festival, das vor 40 Jahren, vom 05. bis 10. Oktober 1982, hier stattgefunden hat, kann als Startschuss gesehen werden für die kreative Nutzung des Ortes, die bis heute andauert.

1984 setzte der damalige Senat endgültig den Abrissbeschluss für die sechs Hallen aus, die von dem neuen kuratierenden Gremium auf dem Gelände genutzt wurden. Die Entwicklung des Ortes lief so gut, dass 1990 ein Trägerverein gegründet wurde und schließlich 1993 mit der Umwandlung in Kampnagel Internationale Kulturfabrik GmbH der entscheidende Schritt zur Institutionalisierung des Ortes vollzogen wurde.

Dass Kampnagel aus dem heutigen Stadtbild und der Kulturlandschaft nicht mehr wegzudenken ist, bezeugt inzwischen auch der Staatstheater-Status, den das Haus seit nunmehr knapp zwei Jahren innehat. Wer hätte gedacht, dass aus dem Festival Besatzungsproben von motivierten und visionären freien Theaterschaffenden ein Staatstheater von solcher markanten Bedeutung für Hamburg, national und international werden würde? 
Dass Kampnagel noch immer den Namen der damaligen Maschinenfabrik trägt, ist zum einen ein Bekenntnis an die ereignisreiche Geschichte des Geländes, auf der anderen Seite erinnert der Name automatisch mit an die Zeiten, zu denen auf diesem Gelände keine Kräne und Baumaschinen hergestellt wurden, sondern Waffen für den Einsatz im Zweiten Weltkrieg. Dieser Geschichte stellt sich Kampnagel auch zum Jubiläum! Durch Rundgänge über das Gelände, in denen diese historischen Ereignisse thematisiert werden, schafft das Haus einen kritischen Umgang mit der Vorgeschichte des Ortes. Denn ebenjener kritische Umgang mit der Geschichte ist immanent und tragend für Kampnagel!

Kampnagel lebt den Satz der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie: “We cannot change the past but we can change our blindness towards the past.” Viele der hier gezeigten, oft genreübergreifenden Performances setzen sich aus feministischer, queerer, postkolonialer und antirassistischer Perspektive mit bisher wenig thematisierten Aspekten der Geschichte auseinander und ermöglichen ein neues Nachdenken über unsere Gegenwart.

Und so führt uns ein Blick in die Historie von Kampnagel zurück zum Spiel, auf die Bühne, die die Welt als veränderbar erleben lässt. Max Frisch hat gesagt: „Spiel ist eine ‚Antwort auf die Unabbildbarkeit der Welt‘ […] und was sich darstellen lässt, ist immer schon Utopie. Wir erstellen auf der Bühne nicht eine bessere Welt, aber eine spielbare, eine durchschaubare Welt, die Varianten zulässt, insofern eine veränderbare, veränderbar wenigstens im Kunst-Raum.“

Das ist es, was Kampnagel Tag für Tag antreibt. Sich nicht zufriedengeben mit den Prägungen, die hier und heute auf der Welt lasten. Sich neuen Perspektiven zuwenden! Gleichzeitig aber auch nicht zuzulassen, dass Hass, Intoleranz und Diskriminierung sich ihren Weg durch die Gesellschaft bahnen. Auf Kampnagel wird deutlich: Kunst ist auch Engagement! Es ist ein aktives Bekenntnis zur Mehrdimensionalität und dem Respekt vor neuen Blickwinkeln. Bei den Künstlerinnen und Künstlern und Gästen, die das diesjährige Jubiläumsprogramm prägen, wird das erneut sichtbar.

Dabei schwingt immer mit, dass Kampnagel ein Ort ist, an dem gelernt werden kann. Ein Ort, an dem die Dinge noch unfertig sein dürfen, noch im Prozess, fluide. Das suggeriert auch der Name „Kulturfabrik“. Hier darf gefragt, experimentiert und gemeinsam geforscht werden. Hier entsteht etwas, wird erst noch hergestellt und dem Publikum nicht bereits fertig vorgesetzt. Und das über Ländergrenzen hinweg. Kampnagel ist nicht nur Kulturfabrik, es ist eine internationale Kulturfabrik. Die Kontakte zu den Künstlerinnen und Künstlern unterschiedlichster Länder öffnet für uns in Hamburg immer wieder neue Horizonte.

Ein neuer Teil der Kampnagel-Geschichte liegt noch hauptsächlich in der Zukunft: die Sanierung des Geländes und der Hallen! Mit der Bereitstellung der notwendigen Gelder von Stadt und Bund und der Gewinnung des renommierten französischen Architektenbüros Lacaton&Vasall sind bereits entscheidende Schritte getan. Kampnagel soll für die Zukunft sicher gemacht werden, ohne dabei elementare Teile seiner Geschichte und seiner Charakteristika zu verlieren. Die Kulturstadt Hamburg braucht diesen Ort! Er ist unabdingbar und eine Zukunft der Stadt ohne Kampnagel ist bestimmt nicht nur für mich nicht denkbar.

Feiern wir 40 Jahre Kampnagel!
DANKE an all die vielen Wegbereitenden, Organisierenden, Künstlerinnen und Künstler!
Für die Jubiläumswochen und die neue Spielzeit wünsche ich allen Beteiligten alles Gute und viel Erfolg und Ihnen, liebe Gäste, viele spannende, inspirierende und aufrüttelnde Momente!