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Festival

Internationales Sommerfestival 2017

Unser Festivalprogramm mit #JUAN2017: die volle Ladung Theater, Tanz, Musik, Film, Performance, Bildende Kunst und Theorie! Access für alle. Exzess für alle.

Liebe Gäste,

an dieser Stelle haben wir in den vergangenen Jahren geschrieben über: Grenzüberschreitung, Widerstand und Entertainment in Zeiten von Krieg und Terror. 2017 ist anders, weil das Noise-Level noch mal gestiegen ist. Und wir ein Festival sind, das sich weniger mit dem Drama der Vergangenheit und mehr mit dem Theater der Gegenwart auseinandersetzt. Das ist beleuchtet von digitalem Stroboskoplicht, die Augen tun weh und der Kopf brennt. Was tun? Wie reagieren auf eine Welt, in der politische Realität und mediale Fiktion verschwimmen? Wenn Politik zur großen Aufmerksamkeits-Show mit einfachen Slogans wird, und der Präsident der USA mit digitaler Hilfe direkt aus dem Trash TV-Format »The Apprentice« ins Oval Office kommt, um die Demokratie mit Twitter-Feeds zu penetrieren – was heißt das für die Kunst? Wir gehen da erstmal selbstbewusst ran und sagen: Das Spiel mit der Realität ist besser bei uns in der Kunst als in der Politik aufgehoben. Und je lauter die Realität uns anbrüllt, desto bunter und vielfältiger werden wir, setzen auf Differenzierung und variieren die Perspektiven, Formen, Ästhetiken, Lautstärken und Orte.

Damit diese flirrende Stimmen-Vielfalt einen Song ergibt, der die Massen zum Tanzen bringt, ist das Festival Programm dicht komponiert – und so sehen die Motive und Verbindungen der einzelnen Teile aus: Unser Spiel mit dem Jetzt beginnt im Superwahljahr mit einer Kampagne um unseren Spitzenkandidaten Juan Dominguez, der als Künstler drei Wochen lang das Festival und den Garten mit klandestinen Performance-Aktionen unsicher machen und bald das bekannteste Gesicht der Stadt sein wird. Welche realen Gefahren hinter dem politischen Spiel mit der medialen Oberfläche stecken, untersuchen wir in einer Konferenz mit dem Journalisten Hannes Grassegger. Was tun als Individuum im digitalen Krieg? Tieftraurig losziehen und mit beißendem Witz Privatsphären verletzen, wie der gefeierte Brite Kim Noble?

Oder wie Annie Dorsen Datenmengen live unterm Sternenhimmel eines Planetariums verarbeiten? Eine starke Theaterantwort auf das Gefangensein in der medialen Endlosschlaufe kommt auch von den britischen Performance-Vorreitern und Theaternobelpreis-Trägern Forced Entertainment, die in ihrer virtuosen, Theatertreffen prämierten Schauspiel-Arbeit REAL MAGIC die Welt als Gameshow-Hölle zeigen – Beckett fürs 21. Jahrhundert. Dessen ENDSPIEL haben wir auch. In voller Länge und in Beckett-Englisch, inszeniert in einem beeindruckenden Überwachungs- Theaterturm von der kubanischen Künstlerin und Aktivistin Tania Bruguera. Ja! Wir können auch Theater-Klassiker (aber aus der Perspektive der Bildenden Kunst). Und auch eine Vorlage wie Euripides‘ BACKCHEN kann zum popkulturellen Wahnsinn werden, wenn sie in die Hände und Beine der Choreografin Marlene Monteiro Freitas gerät. Die Gegenwart als überzeichnete Groteske, was tun? Das fragt sich der argentinische Theaterfeingeist Mariano Pensotti und befragt die Ideale der russischen Revolution in einer beeindruckenden Gegenwartstheaterdiagnose.

Dass auch auf den Straßen der Miniaturwunderland-Metropole Hamburg immer noch gekämpft wird (der G20 Gipfel lag beim Vorwortschreiben noch in der Zukunft), daran erinnert der britische Künstler und Konzept-Musiker (The KLF) Jimmy Cauty mit seiner unkaputtbaren Miniatur-Protest-Installation im Schanzenviertel. Zeitgleich protestiert die geheimagentur im Hafen fundiert-künstlerisch für eine andere Nutzung von Stadt und Hafen. Wie künstlerischer Protest in Politik umschlagen kann, zeigt sich aus der außereuropäischen Perspektive von Serge Aimé Coulibaly. Sein hypnotisches Tanzstück über den panafrikanischen Widerstandskämpfer und Afrobeat-Vorreiter Fela Kuti führt von der afrikanischen Revolution direkt in die Gegenwart; kuratorischerweise spielt zusätzlich Fela Kutis Sohn Seun mit der 14-köpfigen Band seines Vaters ein Konzert im Club. Revolution? Ging nicht vor kurzem ein arabischer Frühling von Tunis aus? Dieser Frage geht der tunesische Choreograf Radhouane el Meddeb in einem großen Tanz-Abend nach, der direkt vom Festival in Avignon zu uns kommt.

Auf außereuropäische Regionen im Umbruch- oder Krisenzustand und deren lokale Tanz-Stile konzentriert sich auch unsere Festival-Allstar-Choreografin Eszter Salamon, die für zehn Tage mit Tänzer*innen in einer Dauer-Performance das Museum für Kunst und Gewerbe bespielt. Einen Fuß in der Bildenden Kunst hatte immer auch Michael Clark, Ballett-Neuerfinder und britische Stil-Ikone mit Glamour-Garantie: Der eröffnet das Festival mit einem Tanzgroßkunstwerk zur Musik von Erik Satie, Patti Smith und David Bowie. Und wenn wir schon beim Pop sind: Mit dem Posaunisten Fred Wesley steht die Musikgeschichte persönlich auf der Bühne bei der Uraufführung unseres neuen Anarcho-Puppenmusicals vom crazy Canadian Josh »Socalled« Dolgin. Das gibt’s an den Wochenenden zusätzlich auch als Version für Kinder, ebenso wie Philippe Quesnes hinreißendes Bühnentheaterkunststück mit Maulwürfen! – die schönste Parabel über Kunst und Leben, die derzeit auf den europäischen Bühnen zu sehen ist.

Und jetzt, Sie kennen das schon: Wo Sommerfestival draufsteht, ist Hochkultur, Pop und Musik drin. Jeden Abend holen wir Sie nach den Vorstellungen ab mit Club-Formaten und Konzerten, vom deutschen Pop-Großmeister Andreas Dorau über die Oberflächentaucher Beach House bis hin zum Kanadier Mocky (wait for it!), denn nichts lädt das Jetzt so schön mit Bedeutung auf wie Musik. Ach so, unsere Freunde Tindersticks, Rufus Wainwright und die Orchesterkaraokaner schicken wir diesmal ins Konzerthauswunder Elbphilharmonie, die muss ja auch bespielt werden. Das war lange nicht alles, nur das Ende der Zeichenzahl. Jetzt sind Sie dran, bitte rein ins Festival-Abenteuer, schauen und hören Sie viel(fältig), um dann mit uns zusammen mit offenem Geist in die lauen Sommernächte (oder -morgen) abzutauchen. Und wie immer gilt am Schluss all unser Dank den Menschen und Organisationen, die uns oft bedingungslos vertrauen – und uns finanziell (und zusätzlich ideell) unterstützen. Ohne sie gäbe es dieses drei Wochen-Sommerfestival-Refugium der Differenz im White Noise des Jetzt nicht.

Bis gleich,

András Siebold & das Sommerfestival-Team

Tanz

Theater und Performance

Musik

Theorie

Installationen und Extras