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Statement zu Kampnagels internationaler Einladungspolitik im Kontext der Debatte um den israelisch-palästinensischen Konflikt

Hamburg, 20. Februar 2024

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem darauffolgenden Einmarsch der israelischen Armee in Gaza eskaliert der gewaltsame Konflikt weiter. Das Leid der israelischen und palästinensischen Zivilist*innen findet weltweiten Widerhall. Im Strudel der Entrüstung kommt es zu politischen Spaltungen, die die notwendige ungeteilte Empathie und die Komplexität des Diskurses oftmals in den Hintergrund rücken. In einer aufgeheizten öffentlichen Stimmung erleben wir täglich wachsenden Antisemitismus und Rassismus.

Der deutsche Staat positioniert sich klar pro-israelisch und bezieht sich auf die eigene historische Verantwortung für den Schutz jüdischen Lebens; politische Stimmen bekräftigen die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson. Auf kulturpolitischer Ebene führte dies zu Plänen einer schnellen Einführung von rechtlich bindenden Regelungen (Stichwort Anti-Antisemitismusklausel), die eine Debatte über die Wahrung der demokratischen Rechte der Kunst- und Meinungsfreiheit auslösten.

Im Kontext dieser Situation sehen sich international arbeitende Kulturinstitutionen vermehrt mit Kritik an ihrer Einladungspolitik konfrontiert und werden zu einer eindeutigen Positionierung aufgefordert. Dabei stehen sich zunehmend auch linkspolitische Gruppen gegenüber, die eigentlich einen gemeinsamen Diskurs-Raum teilen und sich auf die gleichen Grundwerte der Solidarität, Antidiskriminierung und uneingeschränkten Menschenrechte berufen.

Jede Gruppe hat für sich schlüssige Argumente: Die Einen stellen Antisemitismuskritik ins Zentrum und werfen den Anderen vor, antisemitische Doppelstandards beim Thema Israel anzulegen. Sie ordnen Bewegungen wie BDS als antisemitisch ein, fordern ein klares Bekenntnis zum Existenzrecht Israels und verweisen auf die besondere Verantwortung Deutschlands angesichts der Shoah.

Die Anderen beziehen sich auf Rassismuskritik und erheben den Vorwurf, jede Kritik an der Politik des Staates Israel werde als antisemitisch markiert, die Unterdrückung der Palästinenser*innen werde verdrängt und rechter, anti-muslimischer Hass werde befördert. Sie beklagen ein Klima des »Silencing«, des Cancelns pro-palästinensischer Stimmen und speziell von Personen of Color.

Solche diskursiven Dynamiken und das Bedürfnis nach Positionierung erleben wir auch innerhalb des Kampnagel-Betriebs. Unsere Herausforderung ist dabei die prozessuale Suche nach dem gemeinsamen Common Ground, um weiterhin kollektiv Widerstand gegen rechte Ideologien und Gewalt zu leisten, von denen immer noch die größte Gefahr für jüdische und migrantische Menschen ausgeht. Polarisierungen und Spaltungen spielen den rechten Kräften in die Hände.

Für diese Suche ist Dialog unerlässlich – und Dialoge sind nach unserer Überzeugung die Grundlage des internationalen Arbeitens: Wer Boykotte, Ausladungen und Canceln fordert, fordert den Abbruch von Gesprächen, Austausch und Verständigung. Das gilt gleichermaßen für Aufrufe gegen die Zusammenarbeit mit israelischen Künstler*innen und Künstler*innen mit pro-palästinensischen Positionen.

Für Kampnagel bedeutet das, dass wir auch weiterhin Künstler*innen im Programm haben werden, deren Grundwerte wir teilen und die gleichzeitig mitunter Haltungen vertreten, die wir nicht teilen – wie zum Beispiel die Unterstützung von Boykott-Bewegungen. Gerade jetzt müssen wir solche Positionierungen aushalten und tatsächlich zum Anlass für Dialog und Auseinandersetzung nehmen, wenn wir die demokratische Kunst- und Meinungsfreiheit ernst nehmen wollen. Mit zusätzlichen Veranstaltungsformaten werden wir unsere Möglichkeiten nutzen, um zu diesen Dialogen einzuladen und Begegnungen zu ermöglichen. Dabei ist uns wichtig, dass Kampnagel den größtmöglichen Schutz für alle gewährleistet, die sich hier aufhalten.

Denn bewusst ist uns auch: Bei alldem gibt es selbstverständlich rote Linien, wenn es um Antisemitismus und Rassismus geht. Diese ergeben sich insbesondere aus den verschiedenen Betroffenen- und Antidiskriminierungsperspektiven, die wir aktiv in unsere Arbeit einbeziehen. Dafür steht unser Leitbild, das sich gegen jede menschverachtende Ideologie stellt.

Auf den Israel-Palästina-Konflikt bezogen bedeutet das konkret: Keine Rechtfertigung und Verklärung der Hamas und ihrer Gewalttaten, keine Infragestellung des Existenzrechts Israels, keine Kollektivschuld »der Juden« an der staatlichen Politik Israels und keine Abwertung von Juden*Jüdinnen aufgrund ihrer jüdischen Identität. Sowie andererseits: keine pauschale Verurteilung der Solidarität mit Palästina oder des Rufs nach einer historischen Verantwortungsübernahme Deutschlands auch für die Situation der Palästinenser*innen, keine Kollektivschuld der Palästinenser*innen an den Verbrechen der Hamas, kein Zulassen von Rassismus, keine pauschale Darstellung von Muslim*innen als fanatisch.

Essentiell ist eine gewisse Ambiguitätstoleranz sowie ein gleichzeitig klarer Umgang mit roten Linien, um auch in Zukunft ein offenes Haus zu bleiben, das sich entschieden gegen destruktive und gewaltvolle Kräfte von außen stellt und den Dialog als Motor für seine Arbeit begreift