INTERNATIONALES SOMMERFESTIVAL 2025
Liebe Gäste,
das Programm ist online, der Vorverkauf läuft! Und hier ist eine kurze Einführung in das gesamte ausufernde Programm:
David Lynch, der 2025 verstorbene Kinomeister der Fragezeichenrealitäten, schrieb in seinem Memoir »Room to Dream«: »Ich halte mich nicht an nächtliche Träume, weil ich gerne am Tag träume. Aber ich liebe die Logik der Träume. Alles kann passieren und es macht Sinn.«
Das gilt natürlich auch für das Theater, zumindest wenn es wie Lynch aus Konventionen ausbricht, also lineare Erzähl-Wanderwege und ausgetretene ästhetische Pfade verlässt. Dann tun sich gewaltige Räume auf, die einer anderen Logik folgen und in denen Träume von anderen Realitäten Gestalt annehmen können. Für dieses Sommerfestival, das selbst als Raum zum Träumen und Driften gedacht ist, haben wir uns Lynchs Buchtitel ausgeliehen. Im künstlerischen Schwebezustand zwischen Realität und Fiktion kann man sich hier im zeitlupenhaften Mulholland Drive-Flackern einer Bühnenrealität verlieren, im Room to Dream gerechtere Zukünfte imaginieren – oder sich im Ekstaseschweiß des Clubs der Realität des Morgengrauens entziehen.
Durch diese Gelegenheiten führen wir jetzt im Schnelldurchlauf: Das überbordende Festivalprogramm beginnt thematisch passend mit Musik, »die einen nach dem Spirituellen und Undefinierbaren greifen lässt, sich in die Seele eingräbt und dort glüht« (Pitchfork): Der pakistanischen Großmeister Ustad Noor Bakhsh eröffnet das Festival im Avant-Garten, Hamburgs Perle der Kunstfreizeitparks. Dort gibt es wie immer an allen Festivalabenden ein kostenloses Programm, das von Literatur und Diskurs (mit prägenden Stimmen wie Meron Mendel und Saba-Nur Cheema) bis zu den legendären JAJAJA Kopfhörer-Performances reicht. Wenn im Avant-Garten am Osterbekkanal die Nacht anbricht, wird es bekanntlich magic, so wie auch nebenan in unserer Eröffnungsproduktion »Nôt«: Darin geht es um das 1001 Nacht alte Geschichtenerzählen nach Anbruch der Dunkelheit, inszeniert von der zukunftsweisenden Choreografin Marlene Monteiro Freitas, die mit »Nôt« im Juli auch das Festival d’Avignon eröffnet, im legendären Cour d'honneur du palais des Papes.
Wie wichtig Geschichten sein können, um Realität überhaupt erst sichtbar zu machen, zeigt auch das zweite Stück in der großen Halle k6: Die Uraufführung »longing to tell« beruht auf Erzählungen Schwarzer Frauen über Sexualität und entsteht als Zusammenarbeit der US-amerikanischen Rapperin akua naru mit dem Pulitzer Preis gekrönten Komponisten Tyshawn Sorey, dem Ensemble Resonanz und der Regisseurin Anta Helena Recke. Feminismus verbunden mit der Erzählung eines der größten (Alb-)Träume der Menschheit, dem nach ewigem Leben, gibt es im neusten Bühnengroßkunstwerk von Florentina Holzinger, unserer dritten Produktion in der großen Halle.
Den Traum vom feministischen Theater setzt dann auch einer der aktuell besten Theaterumstürzlerinnen aus Brasilien in die Bühnenrealität um: Carolina Bianchi zeigt ihr neustes Bühnenereignis über Männlichkeit und Gewalt (auch im Theater). Ebenfalls aus Brasilien kommt Gabriela da Carneiro Cunha mit einer Arbeit über vergiftete Flüsse im Amazonasgebiet und Mutterschaft als Akt des Widerstandes gegen Umweltzerstörung und strukturelle Gewalt, während parallel die hinreißende Mutter des jungen mexikanischen Theatermachers Anacarsis Ramos mit ihm selbst auf der Bühne steht und über Träume, Geld und Armut spricht. Wie Tanz und Musik zu Identitätsfindung und Selbstbewusstsein beitragen können, zeigt gleich zu Festivalbeginn Ogemdi Udes extrem groovende Uraufführung über Schwarze Weiblichkeit mit ehemaligen Majorette-Tänzerinnen. Und nebenan zeigt Sommerfestivalikone Miet Warlop ihr neustes lebendes Bühnenkunstwerk – mit 3km Theaterstoff, aus dem hier die Träume sind. Theater wird darin in schönster performativer Verwischung zu Bildender Kunst, was auch Oona Doherty genial gelingt, die auf Kampnagel erst ihr neues Stück über irische Mythen, Schlachthäuser und ihren Ururgroßvater mit fiebrig surrealen Bühnenwelten zeigt, bevor sie die sechs Museen der Kunstmeile Hamburg bespielt. Dort präsentiert die nordirische Choreografin einen ganzen Tag Performances in allen Häusern – zusätzlich zu einer Ausstellung in der Vorhalle.
Mehr Kunst in Kooperation mit Hamburger Kunstinstitutionen gibt es mit Stadtkuratorin Joanna Warsza im Stadtpark, einer Talk-Reihe im MARKK, sowie einem Performance-Special in verschiedenen Räumen der Kunsthalle mit der Tanzikone La Ribot und Volmir Cordeiro. Den umgedrehten Weg vom Museum ins Theater geht Mackenzy Bergile: Der französisch-haitianische Künstler hat 2024 im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg eine Performance gezeigt, die er jetzt zu einem Bühnenstück entwickelt und zum Festivalstart uraufführt. In »Autothérapie« geht es darum, wie Erinnerungen, Widerstand und Träume sich über Generationen hinweg in den eigenen Körper einschreiben. Aus einem ganzen Archiv Schwarzer Körpererfahrungen setzt sich wiederum der Tanz von Davi Pontes und Wallace Ferreira aus Brasilien zusammen: Außerhalb des konventionellen Theaterraums und ohne die Illusionsverstärker Licht und Ton entfalten hier zwei Körper in Bewegung eine beeindruckend zarte Wucht. Ganz außerhalb des Theaters sorgt Sommerfestivalking Kid Koala für Wirbel: Der Montrealer Multi-Künstler belebt zwei Wochen lang gleich die ganze Innenstadt mit einem kreativen Funkenflug gegen den Leerstand, inklusive Taubenmalen und Roboter Tanzparade.
Und dass Theater die träumerische Illusionskraft hat, mitten in Hamburg ein österreichisches Bergdorf entstehen zu lassen, zeigen in einer der aufwendigsten Festivalproduktionen der Festivalsuperstars Nesterval im Museumsdorf Volksdorf. Wie das alles endet? Natürlich in einer Berghütte, wohin sich auch die vielleicht letzten Europäer*innen in Christoph Marthalers neuem Theaterkunststück zurückgezogen haben. Wobei im Marthalerschen Abgesang immer auch der Optimismus mitschwingt; der Traum, er stirbt zuletzt und solange wir singen, gibt es auch Hoffnung. Deswegen durchzieht auch dieses Festival ein hochkarätiges Musikprogramm an allen Festivaltagen, das vom Herzenswärmer-RnB Quartett Infinity Song bis zum so schön nervenden Punk von Die Nerven reicht und Partys für Körperschweißaustausch ebenso umfasst wie Orchesterkonzerte in der Elbphilharmonie. Dort präsentieren wir neben Fela Kutis Sohn Seun Kuti mit Noname eine der prominentesten US-amerikanischen Neo-Soul und Rap-Poetinnen. Und die Symphoniker Hamburg führen dort u. a. mit Isabelle Huppert und fast 200 Beteiligten das zum Ende dieses Vorworts passende Stück auf: Rufus Wainwright’s »Dream Requiem«!
So, die Türen zu diesem Festivalraum zum Träumen sind weit aufgerissen, strömt alle rein! Wir danken mit vollen Herzen den Menschen und Institutionen, die diesen Festivaltraum Realität werden lassen und uns großzügig unterstützen: Ohne euch keine Träume unter Stoffbergen oder auf Berggipfeln!
Bis gleich, spätestens im Festival Avant-Garten,
András Siebold mit Corinna Humuza und dem Sommerfestival-Team)